Frankreichs Präsident, Emmanuel Macron
Reuters/Aris Oikonomou
Frankreich

Ratsvorsitz als Wahlkampfbühne

Aufschwung, Kraft, Zugehörigkeit – unter diesem Motto hat Frankreich für die bevorstehende EU-Ratspräsidentschaft ein dichtes Programm vorgelegt. Eine Vielzahl von Reformen solle Europa wieder vereinter und stärker werden lassen, so der französische Präsident Emmanuel Macron. Nicht zuletzt dürfte das aber seinen eigenen Interessen dienen – denn Macron wird den Ratsvorsitz wohl auch als Bühne für den französischen Präsidentschaftswahlkampf nützen.

Frankreich hat mit 1. Jänner die alle sechs Monate wechselnde EU-Ratspräsidentschaft übernommen. Gleichzeitig findet am 10. und 24. April auch die Präsidentschaftswahl statt, bei der Macron sein Amt verteidigen muss. Das zu vereinen, sei „eine schwierige Aufgabe“, so der EU-Experte Andreas Eisl vom Institut Jacques Delors in Paris.

„Macron positioniert sich in Frankreich immer ganz stark als der proeuropäischste Kandidat“, so Eisl. Demnach werde er „natürlich“ versuchen, die Initiativen, die er in der Ratspräsidentschaft setzt, in Erfolge umzumünzen, um sich dadurch innenpolitisch profilieren zu können.

Frankreich übernimmt EU-Vorsitz

Im nächsten Halbjahr übernimmt Frankreich die EU-Präsidentschaft. Im April wird der französische Präsident neu gewählt. Wahlkampfthema Nummer eins in Frankreich: Einwanderung und Grenzsicherung.

Migration als Thema Nummer eins

Macron selbst bestritt diesen Vorwurf zwar bereits, man habe sich das Datum nicht ausgesucht, so die Argumentation, doch ein Blick auf die Themen scheint eine andere Schlussfolgerung zuzulassen: Dass etwa Migration auf der Agenda ganz oben stehe, sei innenpolitisch „ganz bewusst“ so gewählt worden, meint Eisl.

Denn das Thema dominiere auch den französischen Präsidentschaftswahlkampf. Schließlich sieht sich Macron mit Marine Le Pen und Eric Zemmour mit zwei extrem rechten beziehungsweise rechtspopulistischen Oppositionskandidaten konfrontiert.

Migrantenunterkunft in der Nähe von Paris
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Der Umgang mit Geflüchteten – das Nummer-eins-Thema des Präsidentschaftswahlkampfes – steht auch auf der Agenda der Ratspräsidentschaft ganz oben

„Souveränes Europa, das seine Grenzen schützt“

Bei der Vorstellung des Programms nannte Macron in seiner Rede Anfang Dezember bereits einige Punkte im Bereich der Migration, die es anzupacken gelte. So soll während der französischen EU-Ratspräsidentschaft unter anderem der Migrationspakt vorangebracht werden, der eine gerechtere Verteilung von Geflüchteten in Europa vorsieht. Dafür soll es in Zukunft regelmäßige Treffen geben.

EU-Ratspräsidentschaft

Der Ratsvorsitz wechselt alle sechs Monate. Er ist dafür verantwortlich, „die Beratungen des Rates über EU-Rechtsvorschriften voranzubringen und für die Kontinuität der Agenda der EU, den ordnungsgemäßen Verlauf der Gesetzgebungsverfahren und die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten zu sorgen. Dabei muss er als ehrlicher und neutraler Vermittler auftreten“, wie es seitens der EU heißt. Vor Frankreich war Slowenien an der Reihe, nach Frankreich wechselt die Präsidentschaft zu Tschechien.

Macron tritt für ein „souveränes Europa“ ein – ihm zufolge sei das ein Europa, „das seine Grenzen im Griff hat“. Daher gelte es, den Schutz der Außengrenzen des Schengenraums zu verbessern. In Krisensituationen, wie derzeit etwa an der Grenze zwischen Polen und Belarus, müssten EU-Länder einander demnach mit Grenzschutzkräften aushelfen. Auch die Grenzschutzagentur Frontex solle besser eingesetzt werden.

Ebenso stellt die europäische Verteidigung nach den Plänen Macrons ein wichtiges Thema dar. Hierbei müsse eine gemeinsame Strategie entwickelt werden – inklusive Rüstungsprojekten und Militärübungen. Es brauche eine europäische Verteidigungsstrategie, um militärische Fähigkeiten der EU auszubauen. Macron reagiert damit auch auf Kritik am Militäreinsatz in Afghanistan, bei dem europäische Truppen von ihren amerikanischen Verbündeten abhingen.

Klimaschutz nicht im Mittelpunkt

Die Klimakrise stehe hingegen nicht im Mittelpunkt des Ratsvorsitzplans, werde Euractiv zufolge aber eng mit Macrons wirtschaftlichen Ambitionen verknüpft sein – Stichwort „grünes Wachstum“. So soll etwa die lang diskutierte CO2-Steuer vorangetrieben werden.

Als weitere Klimaschutzmaßnahme ist ein Importverbot für Produkte geplant, für deren Herstellung Wälder abgeholzt werden. Ganz generell nannte Macron die Halbierung der Treibhausgasemissionen bis 2030 und die Kohlenstoffneutralität bis 2050 zwei Ziele, bei denen er „keine einzige Minute verlieren“ wolle.

Überarbeitung der Schuldenregelung

Macron möchte die EU in den kommenden sechs Monaten auf Wachstumskurs bringen. Ein neues europäisches Wachstumsmodell müsse nach der Pandemie Innovationen und das Schaffen von Arbeitsplätzen vorantreiben sowie die Wettbewerbsfähigkeit sichern.

Macron will die EU-Ratspräsidentschaft demnach dazu nutzen, um die strikten EU-Regeln zur Staatsverschuldung zu überarbeiten. Angesichts notwendiger Investitionen nach der Coronavirus-Pandemie sei es nötig, „den Haushaltsrahmen neu zu regeln“, sagte er im Hinblick auf eine Aufweichung der Schuldenregeln.

Die neue französische Zwei-Euro-Münze
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Zu Beginn der Ratspräsidentschaft soll es eine 2-Euro-Münze geben, die eine Eiche und einen Olivenbaum zeigt – als „Symbole der Stärke und der Weisheit“

Balkan und Afrika im Blick

Besonderes außenpolitisches Augenmerk soll in der Zeit der französischen Ratspräsidentschaft auf den Balkan sowie auf Afrika gelegt werden. Während es bei den Balkanländern um europäische Perspektiven gehe, stehe in Afrika Stabilität im Fokus – begonnen bei der eigenständigen Herstellung von Impfstoff bis hin zu Investitionen in die Ausbildung afrikanischer Jugend und den Kampf gegen Terrorismus. Gerade Afrika sei das „große geopolitische Projekt der kommenden Jahrzehnte“, so Macron.

„Ambitioniertes Programm vorgelegt“

Auf die Frage, welches Ziel Macron mit der Ratspräsidentschaft verfolge, antwortete er: „Wir müssen von einem Europa der internen Zusammenarbeit zu einem starken Europa in der Welt kommen, das frei entscheidet und sein Schicksal in die Hand nimmt.“

Inwiefern Macron das gelingen wird, dürfte sich bereits in den ersten drei Monaten des Ratsvorsitzes abzeichnen – schließlich finden die meisten Programmpunkte noch vor der Präsidentschaftswahl statt. „Macron hat ein ambitioniertes Programm vorgelegt, man wird sehen, was er davon in die Wege leiten kann, und was umsetzbar ist in der kurzen Zeit“, so die Einschätzung von Eisl.

Disput über EU-Flagge

Wie sehr die Ratspräsidentschaft in Frankreich als Wahlkampfthema benutzt wird, zeigte schon am Sonntag ein kurioser Streit: Die unter dem Pariser Triumphbogen flatternde EU-Flagge löste prompt eine heftige Kontroverse aus. Le Pen sprach von einem „Anschlag auf die Identität unseres Vaterlandes“ und kündigte eine Beschwerde vor dem Staatsrat an. Dass die Flagge zu Neujahr wieder eingeholt wurde, sei schließlich ein „schöner patriotischer Sieg“.

Die EU-Flagge unter dem Arc de Triomphe in Paris
APA/AFP/Julien De Rosa
Die EU-Flagge reichte am Wochenende, um als Streitthema herzuhalten

Le Pen erklärte, die Regierung sei „gezwungen gewesen, die Fahne der Europäischen Union vom Triumphbogen zu entfernen“ und dankte auf Twitter für die „massive Mobilisierung aller Liebhaber Frankreichs und der Republik, um Emmanuel Macron zurückzudrängen“.

Der Elysee-Palast wies die Vorwürfe zurück. Die Flagge sei am 31. Dezember und 1. Jänner gehisst worden, um einen symbolischen Startschuss für den Beginn der Ratspräsidentschaft zu geben, genauso wie mehrere Monumente in Frankreich blau angestrahlt worden seien. Die Flagge sei in der Nacht zum Sonntag „wie geplant“ wieder eingeholt worden.