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Britischer Premier bei Frankreichs Präsident Mission Spaltung gescheitert

Beim Empfang des britischen Premiers Boris Johnson stellt sich Emmanuel Macron demonstrativ hinter die deutsche Kanzlerin. Doch abseits des Brexits bleibt die Einigkeit zwischen Paris und Berlin brüchig.
Gast Johnson (r.) bei Präsident Macron: Im Élysée-Palast die gleiche Antwort wie im Kanzleramt

Gast Johnson (r.) bei Präsident Macron: Im Élysée-Palast die gleiche Antwort wie im Kanzleramt

Foto: Christophe Petit Tesson/AP

Da standen sie nun erstmals zusammen im Hof des Pariser Élysée-Palasts, Emmanuel Macron, seit gut zwei Jahren Frankreichs Präsident, und der britische Premier Boris Johnson, gerade einen Monat im Amt. Zu anderen Zeiten hätten sie gemeinsam Europa ein neues Gesicht geben können.

Doch an diesem Tag fragten alle nur nach einer Person, die Europa seit weit mehr als einem Jahrzehnt prägt: Angela Merkel. Ob er denn die gleiche Flexibilität gegenüber dem Brexit wie die Kanzlerin zeige, wollten die Journalisten von Macron wissen. Zuvor hatte der Brexit-Verfechter Johnson der Presse zugeworfen, er habe sich am Vortag von der Bundeskanzlerin in Berlin "ermutigt" gefühlt.

Politiker Johnson, Macron: Keine Annährung beim Thema neue Brexit-Verhandlungen

Politiker Johnson, Macron: Keine Annährung beim Thema neue Brexit-Verhandlungen

Foto:

Thierry Chesnot/Getty Images

"Es war natürlich schlau von Johnson, erst zur Kanzlerin zu fahren, die in London den Ruf hat, den Briten am ehesten zu folgen, und dann zu Macron, der dort als Bösewicht gilt", analysiert Sébastien Maillard, Leiter des Jacques-Delors-Instituts in Paris, das britisch-französische Zusammentreffen. Aber: "Macron ist nicht in die Falle gegangen. Er präsentierte sich heute außergewöhnlich offen, um später nicht als Verursacher eines harten Brexits dazustehen."

Tatsächlich ist Johnson mit seinem Versuch gescheitert, in der Brexit-Frage einen Keil zwischen Frankreich und Deutschland zu treiben. Dabei hatte Johnsons Vorgängerin Theresa May mit ähnlicher Taktik zuvor durchaus Erfolg. Etwa als sich Paris und Berlin beim Europarat im Frühjahr über den definitiven Austrittstermin für die Briten zerstritten.

"Wir sind vorbereitet. Wir haben in Calais schon viele Parkplätze gebaut"

Auch konnte es Macron kaum gefallen, als die designierte neue EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen bei ihrer Antrittsrede im Europa-Parlament im Juli vorschlug, den Briten weiter großzügig Aufschub für den Brexit geben zu wollen. Schließlich hatte der französische Präsident im Europarat fast im Alleingang den derzeit geltenden 31. Oktober als Tag des Brexit-Vollzugs durchgesetzt.

Berlin ärgert das bis heute. Als die viel größere Exportnation hat Deutschland großes Interesse, auch noch die geringste Chance für die Wahrung offener Handelswege nach Großbritannien zu ergreifen. Dagegen steht für Frankreich der politische Schaden im Vordergrund, sollte es den Briten gelingen, die EU vorzuführen und die Bedingungen des Austritts zu diktieren.

Zum drohenden Handelschaos beim Brexit sagte Macron deshalb nur: "Wir sind vorbereitet. Wir haben in Calais schon viele Parkplätze gebaut." Das war ein Hinweis auf riesige Lkw-Staus, sollten zwischen Frankreich und England wieder Zollkontrollen eingeführt werden. So sorglos könnte Merkel nicht reden. Aber gemeinsame Beschlüsse gelten. Auch deshalb fiel es Macron leichter, Johnson auszubremsen.

Jeder, so lautet nun die gemeinsame Botschaft aus Paris, London und Berlin, will in den nächsten 30 Tagen noch einmal sein Bestes geben, um einen Brexit ohne Vertrag zu verhindern. "Lass' uns daran arbeiten!" sagte Macron zu Johnson. Genauso ließen sich auch die Worte der Kanzlerin vom Tag zuvor verstehen.

Jenseits des Brexit sind sich Frankreich und Deutschland oft uneins

Das bedeutet aber nicht, dass Frankreich oder Deutschland Johnsons jüngsten Vorschlägen folgen würden, etwa zur Neuverhandlung des Austrittsabkommens. "Die Nuancen und der Ton unterscheiden sich, aber in der Sache sind sich Macron und Merkel einig", sagt der Pariser Außenpolitik-Experte Dominique Moisi, Gründer des Französischen Instituts für Internationale Beziehungen (IFRI).

Tatsächlich habe erst Johnsons Aufstieg zum Premierminister in London, "seine Exzesse, seine Provokationen", die deutsch-französische Achse in der Brexit-Frage wieder hergestellt. "Berlin und Paris glauben beide, dass Johnsons Strategie, gegenüber Europa wieder auf die angelsächsische Solidarität zu setzen, zum Scheitern verurteilt ist. Sie frohlocken: Viel Glück mit Trump!" sagt Moisi.

Und doch ist die deutsch-französische Front gegenüber Johnson brüchig. Schon beim kommenden G7-Gipfel am Wochenende im französischen Biarritz könnten Macron und Johnson gemeinsam für eine Digitalsteuer auf die Umsätze der großen, zumeist US-amerikanischen Internetkonzerne plädieren, während Trump und Merkel diese Steuer bisher ablehnen. Und was die weltweite Konjunkturpolitik betrifft, könnten in Biarritz Großbritannien, Frankreich und die USA zusammenstehen, um Deutschland von seiner Politik der schwarzen Null abzubringen. Denn sie alle verlangen mehr deutsche Investitionen, um einer drohenden Rezession in den G7-Staaten vorzubeugen.

Hier liegt Macrons Kalkül: Angesichts des weltwirtschaftlichen Krisenszenarios will er die Brexit-Frage zur Nebensache machen und möglichst schnell abhaken. Dann nämlich stünde die EU-eigene Krisenpolitik wieder im Fokus - in einem Moment, wo die jahrelang erfolglose französische Kritik an der deutschen Sparpolitik plötzlich ziehen könnte.

"Ich habe die Entscheidung der Briten immer respektiert, jetzt müssen wir sie umsetzen", sagte Macron zu Johnson über den Brexit. "Und zwar so, dass wir damit das europäische Projekt in keinster Weise schwächen." Das lässt sich so interpretieren, dass Macron denkt, der Brexit könne Frankreichs Einfluss in der EU nur stärken.