Ein Wertschein über eine Million Mark der Deutschen Reichsbahn.
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Wie die Geschichte Deutschlands Verhältnis zu Schulden prägt

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So prägte die Geschichte Deutschlands Verhältnis zu Schulden

Zu hohe Staatsschulden sind gefährlich – davon sind viele überzeugt. Aktuell gibt es wieder Streit, wie viel sich der Staat leihen soll. In Deutschland wird darüber anders diskutiert als in anderen Ländern. Warum, zeigt ein Blick in die Geschichte.

Über dieses Thema berichtet: Dossier Politik am .

Über Staatsschulden haben Politiker in Deutschland schon immer gestritten. 1979 wettert etwa Franz Joseph Strauß gegen die Schulden der Bundesregierung: "Wenn man nur 1.000-Mark-Scheine zugrunde legt, dann würde jeder Schein aufeinander gelegt einen Berg von 3.550 Meter ergeben." Dass die Angst vor dem Schuldenberg und der Streit darum oft so emotional ist, liegt auch an Deutschlands Geschichte. Das gilt auch für den Wunsch nach einer harten Währung.

Inflation in der Weimarer Republik führt zu Elend

Die Historikerin Stefanie Middendorf forscht an der Universität Jena zu Staatsschulden und erinnert an die Inflation der 1920er-Jahre: Schubkarren voller Geldscheine, Milliarden Mark für einen Laib Brot, hungernde Menschen - die Hyperinflation prägt die Weimarer Republik. "Das war auf jeden Fall eine Zeit, in der Verschuldung und Staatsschulden und Geldmangel eine große Rolle gespielt haben", sagt Middendorf im BR-Podcast Dossier Politik "Sparen oder ausgeben - Was ist besser für Deutschlands Zukunft?"

Denn die Ursache dafür ist die Staatsverschuldung: Um Krieg zu führen, haben die Regierungen Wertpapiere an Bürger verkauft. Nach dem Ersten Weltkrieg muss Deutschland Reparationen leisten, die Weltwirtschaft ist in der Krise. Der Staat kann nicht zurückzahlen. Regierungsverantwortliche versuchen das Problem zu lösen, indem sie mehr Geld in den Umlauf bringen. Die Preise steigen ins Unermessliche. Eine andere Antwort: Radikale Sparmaßnahmen, die für Entlassungen sorgen. "Es hat zu einem Elend in der Bevölkerung geführt", sagt Stefanie Middendorf.

Nazis und Kommunisten profitieren von Wirtschaftskrise

Das nutzen Kommunisten und Nationalsozialisten. Sie gewinnen immer mehr Sitze im Parlament. 1931 eskaliert dort die Debatte um den Haushalt. Die NSDAP stört mit "Heil"-Rufen. Sie und die Kommunistische Partei verlassen das Parlament. "Die NSDAP kehrt über Monate nicht zurück. Das heißt, da endet der Streit in außerparlamentarischer Gewalt", erklärt Middendorf.

Gerade wegen Erfahrungen wie dieser ist es in den Augen der Historikerin ein gutes Zeichen, dass es in Deutschland aktuell harte Debatten um den Staatshaushalt gibt: "Es werden ja noch Lösungen gesucht." So wie der Streit momentan geführt wird, ist er für sie ein Beleg für eine funktionierende Demokratie. Vergleiche mit den Verhältnissen vor hundert Jahren hält sie für unangebracht.

In Frankreich wird anders über Schulden gedacht

Dennoch weiß Stefanie Middendorf, dass die Erlebnisse aus der Weimarer Republik die Debatte bis heute prägen. In Frankreich ist das anders, wie auch der französische Finanzminister Bruno Le Maire in einer Arte-Dokumentation angemerkt hat. Er betonte, dass es schon in der Sprache große Unterschiede gebe. Der französische Begriff für die Schuld ("la dette") sei allein auf die finanzielle Schuld bezogen. "Im Deutschen steckt darin einmal die finanzielle Schuld, aber auch eine Verfehlung, eine moralische Verfehlung", sagte Le Maire.

Auch der österreichische Politikwissenschaftler Andreas Eisl vom Institut Jacques Delors in Paris glaubt, dass in Deutschland oft ein falsches Bild von Schulden herrscht. Der Vergleich zur "schwäbischen Hausfrau" passt aus seiner Sicht nicht, weil ein Staat ewig existiert.

In anderen europäischen Ländern mache man sich weniger Gedanken um die Staatsverschuldung. Größer ist die Sorge laut Eisl, "dass jetzt Deutschland als Wachstumsmotor in Europa wegfällt, wenn es nächstes Jahr noch stärker spart".

Verhältnis zum Staat in Deutschland anders

Stefanie Middendorf erklärt sich die Unterschiede damit, dass es "historisch auch ein anderes Verhältnis zu Staat und Staatlichkeit gibt". Frankreich hat laut ihr eine Tradition, dass sich der Staat viel um seine Bürger kümmert und sich dafür auch verschuldet. Deutschland habe sich nach dem Zweiten Weltkrieg marktwirtschaftlicher aufgestellt, mehr Skepsis vor einem sich stark einmischenden Staat und sich schon immer mehr zu Sparsamkeit verpflichtet gefühlt.

Heute diskutiert man in Berlin vor allem über die Schuldenbremse. Die hat der Bundestag im Zuge der Finanzkrise 2009 eingeführt. Seitdem steht im Grundgesetz: Neue Kredite müssen sich in der Regel auf 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts beschränken.

Schuldenbremse in der Kritik

Viele kritisieren das. Sie sehen die Handlungsmöglichkeiten von demokratischen Vertretern zu stark eingeschränkt. Auch Middendorf plädiert dafür, anders über Schulden nachzudenken. Man müsse "offen über die wirklich große Ungleichheit in unserem Land zu sprechen. Darüber diskutieren, dass wir da und dort eben Schulden machen müssen."

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