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Macron vor der Europawahl Getrieben, gereizt, gefährlich

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron muss fürchten, dass die Rechtspopulisten bei der Europawahl stärkste Kraft werden. Das hat auch Folgen für seinen Blick auf Berlin und sein Verhältnis zur Bundeskanzlerin.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron

Foto: Philippe Wojazer / REUTERS

Emmanuel Macron ist an diesem Dienstagmorgen im Invalidendom in Paris ganz in seiner Lieblingsrolle: als Oberbefehlshaber der Franzosen. Der Präsident ehrt zwei französische Elitesoldaten, die im Zuge einer Geiselbefreiung im afrikanischen Burkina Faso vor wenigen Tagen getötet worden waren. "Ein gegebenes Leben ist kein verlorenes. Die freien Völker lassen die Namen ihrer Helden niemals verwischen", sagt er.

Bis auf eine kaum sichtbare Europafahne sind alle Symbole der Trauerzeremonie für die Soldaten nationale Symbole. Dass auch Macron an diesem Morgen, mitten im Europawahlkampf, kein Wort zu Europa sagt, ist kein Zufall. Er weiß, wieviel Glaubwürdigkeit er auf diesem Terrain verloren hat. Weiß, dass er auf anderen Wegen, mit anderen Themen punkten muss.

Noch vor zwei Jahren führte er seinen französischen Präsidentschaftswahlkampf unter Europafahnen - und gewann. Doch dann kamen die Niederlagen im Reformstreit mit Bundeskanzlerin Angela Merkel. Dann wollte niemand, schon gar nicht die Deutschen, seine Reformvorschläge für Europa übernehmen. Kaum einem Franzosen ist das entgangen. Und umso verzweifelter führt Macron nun Europawahlkampf - mit militärischen Zeremonien, wenn es denn sein muss.

Das Vertrauen schwindet - in sich selbst, wie in den Nachbarn

"Zwischen den USA und Europa wird der Graben immer größer, und zwischen Berlin und Paris reißen immer mehr Löcher auf", sagt Dominique Moisi, Berater und Mitbegründer des Französischen Instituts für Internationale Beziehungen (IFRI), dem SPIEGEL. Dabei sieht Moisi als "aktuell drängendes Problem das fehlende Vertrauen" in den Regierungen in Paris und Berlin, "und zwar in sich selbst und in den anderen".

Macron treibt die Angst, das ist kein Geheimnis, bei den Europawahlen in zehn Tagen nur Zweiter hinter den Rechtspopulisten von Marine Le Pen zu werden. Merkels Sorgen sind dagegen andere: "Sie denkt an ihr Erbe in Europa, das immer gefährdeter erscheint", glaubt Moisi. So fehlt beiden das Selbstvertrauen, aber auch das Vertrauen in den Nachbarn: Im Europawahlkampf treten sie schließlich gegeneinander an, für unterschiedliche Parteilager, Macron für die Liberalen, Merkel für die Konservativen. "Die logische Folge ist eine Rückkehr der klassischen Rivalität zwischen Paris und Berlin", sagt Moisi.

Statt wie Partner führen sie sich auf wie Konkurrenten

So geschehen beim jüngsten EU-Sondergipfel in Rumänien, wo Macron mit den Regierungschefs der Benelux- und der skandinavischen Länder eine Klimainitiative startete, ohne Merkel mitzunehmen. "Es war eine französische Revanche gegenüber der Unterstützung, die Berlin in den letzten Jahren der Hanseatischen Liga gewährte", analysiert Sébastian Maillard, Leiter des Pariser Jacques-Delors-Instituts für Europapolitik, gegenüber dem SPIEGEL.

Maillard spielt auf die oft unausgesprochene Berliner Allianz mit den Niederlanden und den EU-Ostseestaaten an, wenn es zuletzt um soziale Mehrausgaben in Europa ging. Deutschland und die anderen waren sich da einig in ihrer Ablehnung französischer Forderungen. Nun also kommt aus Paris die Revanche im Bereich der Klimapolitik, wo Macron es versteht, die ehemaligen Verbündeten der Deutschen auf seine Seite zu bringen. Paris und Berlin agieren wie Rivalen im Streit um die Macht in der EU, und nicht mehr wie Partner. "Der deutsch-französische Motor läuft nicht mehr", stellt Maillard fest.

Das sieht Nino Galetti anders: "Dieser Eindruck ist falsch. Der deutsch-französische Widerspruch wird überinterpretiert", sagte er dem SPIEGEL. Der Vertreter der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung in Paris glaubt, dass sich Merkel und Macron schon bald nach den Europawahlen zusammenraufen, um bei der Wahl des zukünftigen EU-Kommissionspräsidenten den von ihnen als Regierungschefs besetzten Europäischen Rat gegenüber dem Europaparlament zu stärken. "Es ist ein alter Konflikt: Soll das Parlament den Takt vorgeben oder weiter die Regierungschefs?", so Galetti.

Doch in Paris zweifeln viele, ob die alten Seilschaften je wieder eine vergleichbar große Rolle spielen werden. "Der Ton wird rauer, jeder muss sich im eigenen Land gegen die Populisten durchsetzen. Bisher taten sich Berlin und Paris nicht gegenseitig weh. Diese Sicherheit droht zu verschwinden", sagt Moisi. Macrons Auftritt im Invalidendom schien das bestätigen zu wollen.