Die Europäer und Onkel Trump: Chancen und Risiken

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US-Präsident Donald Trump lobt den Zusammenhalt Europas nach der Brexit-Entscheidung. [Foto: a katz/shutterstock]

Die Wahl Donald Trumps zum Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika ist ein geopolitisches Ereignis, das zahlreiche Risiken birgt. Die Europäer müssen sich mit den Ursachen und Konsequenzen dieses Ereignisses auseinandersetzen, um Risiken in Chancen für die EU zu verwandeln.

Enrico Letta war zwischen 2013 und 2014 italienischer Premierminister, Yves Bertoncini ist Direktor des Jacques Delors Instituts.

Der Sieg Trumps kommt einem Erdbeben gleich, da er die Folge tektonischer Verschiebungen ist, die viele Länder des Westens aus dem Gleichgewicht zu bringen droht, und eine Reaktion auf den Aufstieg der sogenannten Schwellenländer einerseits und den Krieg in der arabisch-muslimischen Welt andererseits darstellt. Wir haben es hier keineswegs mit einem Sieg „des Volkes über die Eliten“ zu tun, denn Donald Trump hat mehr als zwei Millionen Stimmen weniger erhalten als Hillary Clinton. Der Wahlausgang ist allerdings in der Tat Ausdruck einer „Anti-Establishment“-Stimmung, die sich auch in Europa verbreitet hat.

Trumps Sieg bringt das Unbehagen von Arbeitern und Teilen der Mittelschicht zum Vorschein; angesichts ökonomischer, kultureller und politischer Öffnungsprozesse, deren Ergebnisse zunehmend als zwiespältig erlebt werden, sowie einer Globalisierung, deren Triebfeder nicht länger die Länder des Westens sind. Eine derart unruhige Plattentektonik hat bereits Erschütterungen ganz unterschiedlichen Ausmaßes verursacht (wie zum Beispiel den Brexit), die „Gegenbewegungen“ auf den Plan rufen, welche die Bruchzonen innerhalb der einzelnen Staaten und die Anfälligkeit der unterschiedlichen Gesellschaften erkennen lassen.

Aus diesen Erschütterungen müssen selbstverständlich Konsequenzen gezogen werden, damit die EU und ihre Mitgliedsstaaten ihre Politik an die neue Lage anpassen können. Wir müssen die Globalisierung besser steuern und in einer Weise gestalten, die unseren Werten und den Interessen breiter Bevölkerungsschichten entspricht.

Die Wahlen in den USA zwingen uns, unsere Aufmerksamkeit auf die Ursachen zu richten, die Trumps Sieg ermöglicht haben.
Aber in noch stärkerem Maße sind es die möglichen Folgen des Regierungswechsels, die uns Europäern zu denken und Anlass zu handeln geben sollten. Die Regierung von Donald Trump steht für die Rückkehr zu einem letztlich recht traditionellen amerikanischem Isolationismus, der als Hintergrund auch den Aufstieg Asiens und die damit viel diskutierten Ängste hat. Dieser Isolationismus könnte im gegenwärtigen Klima der Gefährdungen und Verunsicherung eine rücksichtslosere und unberechenbarere Gestalt annehmen als früher.
Es ist deshalb an uns Europäern, gemeinsam zu handeln, um unsere kollektive Sicherheit zu stärken. Dazu gehören eine bessere Abstimmung unter den Polizei- und Justizbehörden, strengere Kontrollen an den europäischen Außengrenzen, aber auch ein größeres diplomatisches und militärisches Engagement. In Zeiten russischer Aggression, des Kriegs und Bürgerkriegs in Syrien, des Chaos in Libyen, der islamistische Bedrohung, aber nicht zuletzt auch angesichts des Ausscheidens Großbritanniens aus der EU hat die Idee einer „europäischen Säule des Atlantikpakts“ nichts von ihrer Aktualität verloren.

Donald Trump wird keine Gelegenheit verpassen, um uns an unsere Pflichten zu erinnern, etwa wenn er uns vorwirft, es versäumt zu haben, unsere Verteidigungsausgaben auf zwei Prozent des Bruttoinlandproduktes zu erhöhen, obwohl sich die NATO-Staaten auf diese Zielmarke geeinigt hatten. Wir müssen ihm in dieser Hinsicht Gehör schenken, denn schon Barack Obama drängte auf das Zweiprozentziel, damit Europa seine sicherheitspolitische Handlungsfähigkeit auch in jenen Krisen behält, die Washington sekundär oder von nachrangiger Bedeutung erscheinen, aber unmittelbare und oft tödliche Folgen für uns haben.

Wenn Donald Trump auch im Amt so agiert wie er das während seiner Wahlkampagne tat, könnten die politischen Differenzen zwischen den USA und der EU unter seiner Präsidentschaft stärker hervortreten.
Angela Merkel erinnerte zurecht daran, dass die transatlantische Partnerschaft auf gemeinsamen Werten und Überzeugungen beruht: Wir bekennen uns zur Demokratie, dem Rechtsstaat, der Gleichheit zwischen den Geschlechtern und dem Schutz von Minderheiten. Mehr denn je stehen wir in der Pflicht, für diese Überzeugungen, die ein wesentlicher Bestandteil unserer gemeinsamen Identität sind, einzustehen und sie glaubhaft zu verkörpern!

Wir müssen daher auch für ein Entwicklungsmodell eintreten und bürgen, das wirtschaftliche Effizienz, soziale Standards und den Umweltschutz in Einklang zu bringen versucht. Die USA, die der wirtschaftlichen Effizienz den Vorzug geben, könnten sich unter Donald Trump noch weiter von diesem Modell entfernen. Wir sollten die Gelegenheit nutzen, um die Legitimität unseres Modells gegenüber China, Russland, aber auch den USA zu behaupten. Wir sollten auch weiterhin für Umweltbelange kämpfen und stolz unsere „grüne Fahne“ schwingen, ohne dabei die notwendigen Reformen in den Mitgliedsstaaten aus den Augen zu verlieren, um dieses Modell zu verbessern und den gesellschaftlichen Zusammenhalt nachhaltig zu stärken.
Die Wahl Trumps ist gleichermaßen Risiko und geopolitische Chance. Die EU könnte die Situation zu ihrem Vorteil nutzen, wenn die Mitgliedsstaaten und Bürger die Gelegenheit im Geiste der Zusammenarbeit und Solidarität ergreifen, statt sich vergebens und im Wettstreit untereinander um die Gunst eines Partners zu bemühen, der sich in Zukunft wohl stärker von Europa abwenden wird.

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