Nein, etwas wirklich Neues hörte auch der Pariser Außenpolitikexperte Dominique Moïsi nicht, als er am Montagabend auf YouTube der deutschen Bundeskanzlerin und dem französischen Präsidenten bei ihrem gemeinsamen Auftritt im deutschen Staatsgästehaus Meseberg bei Berlin lauschte. Aber der ehemalige Harvard-Professor Moïsi war so angetan wie noch nie in den drei Jahren, seit Angela Merkel und Emmanuel Macron das deutsch-französische Regentenpaar bilden: "Sie dürfen sich ruhig in ihren Aussagen wiederholen, wenn es ihnen damit gelingt, den Eindruck zu festigen, dass Europa derzeit mit guten Neuigkeiten aufwartet, während die USA blockiert sind und China in Schwierigkeiten zurückfällt", analysiert Moïsi. Aber ist dieser Eindruck nicht eine Illusion? "Er ist das Ergebnis einer Rückkehr zur deutsch-französischen Allianz", antwortet Moïsi, "das haben bisher nur wenige wahrgenommen".

Tatsächlich bemühten sich Merkel und Macron in Meseberg, jeden Hinweis darauf zu vermeiden, dass es noch vor kurzer Zeit alles andere als gut um diese deutsch-französische Allianz stand. "Der deutsch-französische Motor in Europa war vor der Pandemie ernsthaft reparaturbedürftig und Macron hatte jeden Glauben an Merkel verloren", sagt Sébastian Maillard, Direktor des Pariser Jacques-Delors-Instituts. Doch dann kam der 18. Mai und auf einer gemeinsamen Videokonferenz in Berlin und Paris verkündeten Kanzlerin und Präsident den sogenannten Recovery-Plan. Mit ihm soll die Europäische Union 500 Milliarden Euro an neuen Schulden aufnehmen, um damit den am meisten unter der Corona-Epidemie leidenden EU-Ländern zu helfen. Zurückgezahlt wird das Geld dann später gemeinsam. 

Mehr Merkel und weniger Macron

Für den Plan gab es europaweit viel Applaus und, mit Ausnahmen etwa aus den Niederlanden und Österreich, relativ wenig Kritik. Doch hält die neue Achse Merkel-Macron wirklich? Eben das wollten beide in Meseberg jetzt Glauben machen. Dabei sprach die Kanzlerin weiter von Recovery-Plan. Ein deutsches Wort dafür hatte sie offenbar immer noch nicht gefunden. Verriet das, dass sie mit dem Plan und ihrer neuen Allianz mit Macron im Grunde doch noch nicht richtig warm geworden war?  

Darin lag die Zynik des Moments: Macron, der schon seit drei Jahren auf mehr gemeinsame Ausgaben der Europäischen Union im Umfang des Recovery-Plans hingewirkt hatte, steht zu Hause politisch geschwächt dar. Am Vortag hatten die Grünen die französischen Kommunalwahlen gewonnen, Macrons Wiederwahl in zwei Jahren erscheint unsicherer denn je. Merkel dagegen, die bis zum 18. Mai umfangreiche Mehrausgaben der EU immer ablehnte, kann daheim mit Zustimmungswerten glänzen, die nicht mehr für möglich gehalten wurden.

"Wir sehen wieder mehr Merkel und weniger Macron", sagt Moïsi. "Sie haben die Rollen getauscht: vor einem Jahr wurde Merkel politisch abgeschrieben, heute Macron", diagnostiziert Maillard. Doch in der europäischen Sache, so sieht es Maillard, habe trotz allem Frankreich gewonnen. Er macht es daran fest, dass Merkel am Montag in Meseberg viele Formulierungen aus dem Wortschatz Macrons übernahm. "Europa schützen!", forderte die Kanzlerin, eine Formel, die Macron schon 2017 in seinem Wahlkampf häufig verwendete.