Gastbeitrag

Warum in aller Welt will der Europäische Rat das Budget für Forschung kürzen?

FILE PHOTO: A woman holds a small bottle labeled with a 'Vaccine COVID-19' sticker and a medical syringe in this illustration
FILE PHOTO: A woman holds a small bottle labeled with a 'Vaccine COVID-19' sticker and a medical syringe in this illustrationREUTERS
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Wissenschaft und Innovation als Ausweg aus der Krise, EU-Fördergelder werden heute mehr denn je benötigt - und doch plant der Rat eine Kürzung von „Horizont Europa".

Gastkommentare und Beiträge von externen Autoren müssen nicht der Meinung der Redaktion entsprechen.

2014 erhielt das bis dahin unbekannte deutsche Biopharma-Unternehmen CureVac einen mit zwei Millionen Euro dotierten Innovationspreis von der Europäischen Kommission. Zu der Zeit war die Auszeichnung eine Möglichkeit, dem Unternehmen zu helfen, seinen vollkommen neuartigen Ansatz bei der Impfstoffentwicklung weiter zu verfolgen. Da dieser Ansatz sehr riskant war, konnte er nur mit öffentlichen Fördergeldern fortgesetzt werden. Ein Jahr später investierte die Bill and Melinda Gates Stiftung in das Unternehmen, das inzwischen als ein mehrere Milliarden schweres Einhorn gilt. Ingmar Hoerr, Gründer und CEO von CureVac, ruft immer wieder in Erinnerung, dass die Entwicklung des Unternehmens ohne EU-Fördermittel einen ganz anderen Verlauf genommen hätte.

Schnellvorlauf in das Jahr 2020: Die bahnbrechenden Arbeiten von CureVac an einem Covid-19-Impfstoff bedeuten, dass das Unternehmen gegenwärtig eine der bislang wichtigsten und wertvollsten Technologien entwickelt. In Erwartung sicherer und effizienter Ergebnisse der klinischen Studien hat die EU-Vorgespräche mit CureVac bezüglich des Kaufs von mehr als 400 Millionen Covid-19-Impfstoffdosen aufgenommen.

Die EU-Investitionen in Forschung, Innovation und Wissenschaft haben immer wieder unter Beweis gestellt, dass sie vorausschauend und richtungsweisend sind. Das Problem ist nur, dass wir unsere Geschichte schlecht verkaufen. Auch wenn nicht jede Investition ein so durchschlagender Erfolg wie die Auszeichnung von CureVac ist (man muss Misserfolge verkraften können, um Innovation zu fördern), macht es durch durchaus Sinn, alles in unserer Macht stehende zu tun, um Forscher, Innovatoren und Unternehmen zu unterstützen, deren Arbeit und Erfindungsreichtum zu einer besseren, gesünderen und wohlhabenderen Welt beitragen.

Vor der Coronakrise herrschte in Brüssel sowie in den europäischen Hauptstädten Einigkeit über eine notwendige Erhöhung des Budgets von Horizont Europa, des EU-Rahmenprogramms für Forschung und Innovation. Aus diesem Grund sind wir sehr stolz darauf, dass die Europäische Kommission bereits 2019 vorschlug, Horizont Europa für den Zeitraum 2021-2027 mit 100 Milliarden Euro zu dotieren.

Unverständliche Kürzung

In dieser Woche treffen sich die 27 Staats- und Regierungschefs des Europäischen Rats zu einer Sondersitzung und wir möchten ihnen folgende Frage stellen: Warum in aller Welt will der Europäische Rat das Budget von Horizont Europa auf 90,9 Milliarden kürzen?

Diese Kehrtwende ist eine verhängnisvolle Entscheidung. Wir passen uns alle an vollkommen neue Arbeits- und Lebensweisen an - im Beruf, in der Schule, beim Einkaufen und in der Freizeit und nicht zuletzt bei der Suche nach einer Behandlungsmethode für ein Virus, das es im letzten Jahr noch nicht gab. Dieses ein wenig erschreckende Experiment zur Bewältigung einer globalen Pandemie in Echtzeit ist mit der beunruhigenden Tatsache im Zusammenhang zu sehen, dass Privatunternehmen ihre eigenen Forschungsbudgets kürzen und der Bedarf an öffentlichen Fördermitteln für F&I in den letzten Monaten immer dringender und auf keinen Fall geringer geworden ist.

Im Laufe der Jahre haben wir eng mit den Frauen und Männern in Universitäten, Unternehmen und Regierungen zusammengearbeitet, deren Vision und Engagement der Grundstein für ein beispielloses Innovationsökosystem in Europa ist. Unabhängig davon, ob dieser Impfstoff von CureVac oder in ähnlichen laufenden Projekten entwickelt wird, haben wir Vertrauen in die europäischen Wissenschaftler und Innovatoren. Doch auch wenn wir diese Krankheit besiegen, bleibt eine andere langfristige Bedrohung bestehen - der Klimawandel.

Die Autoren


Pascal Lamy ist Präsident Emeritus des Think Tank Institut Jacques Delors in Paris. Er war von 2005-2013 Generaldirektor der Welthandelsorganisation.

Carlos Moedas ist im Vorstand des Think Tank Institut Jacques Delors in Paris. Er war von 2014-2019 EU-Kommissar für Forschung, Innovation und Wissenschaft.

In der letzten Woche hat die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in ihrer Rede zur Lage der Union erneut auf die Bedeutung einer grünen, digitalen Wirtschaft hingewiesen, damit sie „für neuen Schwung sorgt, der uns in die Welt von morgen bringt“. Sie schlug vor, die Zielvorgabe für die Einsparung von Treibhausgasemissionen in der EU im Vergleich zu 1990 innerhalb eines Jahrzehnts auf 55 Prozent zu steigern.

Das ist ein lobenswertes und vor allem notwendiges Ziel. Es hilft uns, bis 2050 die angestrebte Klimaneutralität zu erreichen, die Grundlage des europäischen Green Deal ist. Diese erhöhte Zielvorgabe ist auch eine stillschweigende Anerkennung der wachsenden Unterstützung, die der Klimaschutz in der Bevölkerung erfährt.

Forschung im Kampf gegen den Klimawandel

Ohne mehr Forschung und Innovation werden jedoch das Versprechen eines europäischen Green Deal unerfüllt und die dringlichen Appelle unserer Kinder und Enkelkinder unbeachtet bleiben. Nach Angaben der Internationalen Energieagentur werden wir, selbst wenn wir alle uns derzeit zur Verfügung stehenden Technologien einsetzen (Sonnen- und Windenergie, Energieeffizienz etc.), immer noch nicht in der Lage sein, die angestrebten Emissionsverringerungen zu erreichen, die wir so dringend benötigen, um Klimawandel-bezogene Risiken durch Waldbrände, Dürre, verheerende Stürme und schmelzende Gletscher zu mindern.

Präsidentin von der Leyen hat klugerweise einer 30-prozentigen Erhöhung der EU-Mittel für verschiedene Klimaprogramme zugestimmt. Ebenso will sie ca. 37 Prozent des europäischen Aufbauplans zur Erreichung der Green Deal Zielsetzungen aufwenden. Da viele dieser Mittel direkt an die Mitgliedstaaten gehen, sind die nationalen Regierungen ihrerseits in der Pflicht. Sie müssen sicherstellen, dass ihre eigenen Aufbaupläne dazu beitragen, die dringenden Prioritäten der EU, in diesem Fall des Green Deal, zu erfüllen.

Es sei klar und deutlich gesagt: Von der globalen Pandemie mit verheerenden Auswirkungen auf die öffentliche Gesundheit über die angeschlagenen Volkswirtschaften in den Mitgliedstaaten bis hin zur hereinbrechenden Katastrophe, die der Klimawandel darstellt, sind die Herausforderungen, mit denen wir uns konfrontiert sehen, gewaltig. Indem die EU die Fördermittel für F&I erhöht, signalisiert sie Vertrauen in ihre eigene Fähigkeit, diese Herausforderungen zu meistern. Doch was, wenn der EU dies nicht gelingt? Die Menschen werden immer zynischer werden und zunehmend davon überzeugt sein, dass die EU weder ihrer Aufgabe gewachsen ist noch die Unterstützung der Bevölkerung verdient.

Das darf nicht passieren. Wie Jeremy Farrar, CEO des Wellcome Trust, kürzlich sagte: Der einzige vernünftige Weg, der aus dieser Pandemie heraus führt, ist die Wissenschaft. Wir würden noch einen Schritt weiter gehen und sagen, dass die einzig plausible Ausstiegsstrategie für unsere derzeitigen globalen Herausforderungen aus Wissenschaft und Innovation besteht.

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